RN strauchelt bei der Parlamentswahl, visiert aber Wahlsieg 2027 an

Der Vorsitzende der rechtsgerichteten Nationalen Sammlungspartei, Jordan Bardella, hält eine Rede nach der zweiten Runde der Parlamentswahlen, 7. Juli 2024. ©AP Photo/Louise Delmotte

Frankreichs rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) ist bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am Sonntag mit dem Versuch gescheitert, die Mehrheit der Sitze zu erringen. Ihr Vorsitzender und enttäuschte Aktivisten versuchen jedoch, die Niederlage als Sieg zu verkaufen, der sie gut auf die Präsidentschaftswahlen 2027 vorbereitet.

"Die Nationalversammlung hat heute den wichtigsten Durchbruch in ihrer Geschichte erzielt", sagte RN-Chef Jordan Bardella in einer fünfminütigen Rede, die er eine halbe Stunde nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse hielt.

Die Ergebnisse der Abstimmung, die ausgelöst wurde, nachdem der RN der Mitte-Koalition von Präsident Emmanuel Macron bei den Europawahlen im Juni eine herbe Niederlage beigebracht hatten, "sind die Bausteine für den Sieg von morgen", erklärte er.

Die Partei hatte in der ersten Runde vergangene Woche mit rund 33 % der Stimmen landesweit die meisten Stimmen erhalten und sollte bis zu 240 Sitze erringen. Sie blieb in der Zwischenrunde in Führung, trotz der sogenannten "republikanischen Front", die von den Koalitionen der Mitte und der Linken inszeniert wurde, um Siege der RN in Wahlkreisen zu verhindern, in denen sich drei Kandidaten qualifiziert hatten.

Die um 20.00 Uhr Ortszeit veröffentlichte Wahltagsbefragung sieht die RN mit 138 bis 145 Sitzen auf dem dritten Platz hinter der Nouveau Front populaire (NFP), die sich aus den Grünen, den Sozialisten, den Kommunisten und der linkspopulisitschen Partei La France insoumise zusammensetzt und 177 bis 192 Sitze erhalten soll.

Macrons Ensemble-Koalition kam überraschend auf den zweiten Platz und wird voraussichtlich zwischen 152 und 158 Sitze erhalten.

Keine Partei oder Koalition hat die 289 Sitze erreicht, die für eine absolute Mehrheit erforderlich sind, und kann daher nicht allein eine Regierung bilden.

"Wir haben gute Tage vor uns"

"Die Nationalversammlung hat immer noch eine gläserne Decke. Ihre Niederlage ist auf den Rückzug vieler Kandidaten in Dreiecksverhältnissen zurückzuführen", erklärte Adam Hsakou, Programmkoordinator beim German Marshall Fund of the United States, gegenüber Euronews.

"Der RN zahlt zweifellos den Preis für den Aufschrei, den die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft im Vorfeld der Wahlen ausgelöst hat. Jordan Bardella ist es nicht gelungen, die Wogen zu glätten. Das ist eine Lektion für den Mann, der die Normalisierung der Partei perfekt verkörpert: jung, aus einer Einwandererfamilie stammend, ohne den Namen Le Pen, eloquent und erfolgreich in den sozialen Netzwerken", fügte er hinzu.

Bardella machte auch die "republikanische Front" für die Niederlage seiner Partei verantwortlich und bezeichnete sie in seiner Rede als "unnatürliche politische Allianzen, die mit allen Mitteln verhindern wollen, dass die Franzosen sich frei für eine andere Politik entscheiden können."

Diese "unehrenhafte und gefährliche Wahlallianz", so Bardella, führe dazu, "dass Frankreich inmitten einer Kaufkraftkrise, in einer Zeit, in der Unsicherheit und Unruhen das Land fest im Griff haben, ohne belastbare Regierungsmehrheit und damit ohne klaren Kurs für eine Wende dasteht."

Sowohl der Parteivorsitzende als auch die Aktivisten betonten jedoch, dass die Nacht dennoch ein Sieg gewesen sei, da die Zahl der Sitze im Vergleich zu den 89, die sie vor der Auflösung der Nationalversammlung durch Macron innehatten, deutlich gestiegen sei.

Béatrice Roullaud, die ihren Sitz im sechsten Wahlkreis des Departements Seine-et-Marne behalten hat, sagte Euronews, dass "wir zwar nicht die Ergebnisse erzielt haben, die wir uns erhofft hatten, aber wir haben fast die doppelte Anzahl an Abgeordneten erhalten, was auch nicht schlecht ist."

"Dieses Mal haben wir es nicht geschafft, aber das nächste Mal wird es uns gelingen, denn das ist es, was die Franzosen erwarten", sagte sie Euronews. "Also haben wir gute Tage vor uns."

Quentin Hoarau, der für die Partei im fünften Wahlkreis des Val d'Oise kandidierte, betone ebenfall, dass "es immer noch ein historisches Ergebnis ist, das zeigt, dass der RN wirklich überall Fuß fasst."

Für Romain, einen 50-jährigen Unterstützer, bedeuten die Ergebnisse, "dass es mehrere Dutzend Leute geben wird, die noch besser auf das Amt vorbereitet sind. Wir werden also bis 2027 immer glaubwürdiger sein."

"Heute Abend beginnt alles"

Das Verfehlen der absoluten Mehrheit und der damit verbundene Zwang zu einer "Kohabitation" mit Macron könnte dem RN tatsächlich in die Hände spielen.

"Sie werden nicht gezwungen sein, die nächsten drei Jahre zu regieren, und sie werden sich der Verantwortung für das, was in Frankreich in den nächsten Jahren passieren wird, entziehen", sagte Douglas Webber, emeritierter Professor für Politikwissenschaften an der Wirtschaftsuni INSEAD, gegenüber Euronews.

"Da sie nicht für das verantwortlich gemacht werden können, was in den nächsten Jahren passiert, wird sie (wahrscheinlich Marine Le Pen) gute Chancen haben, die nächsten Präsidentschaftswahlen zu gewinnen. Es ist völlig unklar, welche Art von Regierung nach diesem Wahlergebnis gebildet werden kann", fügte er hinzu.

Obwohl Macron und sein Premierminister Gabriel Attal ihre Bereitschaft signalisiert haben, eine Regenbogenkoalition aus mehreren Parteien zu bilden, haben sie jede Aussicht auf ein Bündnis mit der linkspopulistischen La France insoumise (LFI) abgelehnt, die sie für ebenso extremistisch halten wie den RN.

Es wird jedoch erwartet, dass die LFI mit bis zu 80 Sitzen die meisten Sitze in der RN-Koalition erringen wird. Für die Sozialisten und die Grünen werden bis zu 64 bzw. 36 Sitze erwartet.

Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern wie Deutschland und den Niederlanden hat Frankreich keine Erfahrung mit der Bildung von Koalitionen, sodass sich die Verhandlungen und die Aufteilung der Macht in den verbleibenden drei Jahren von Macrons Amtszeit als schwierig erweisen könnten.

"Wenn die neue progressive Regierung keine Ergebnisse erzielt, könnte 2027 das Jahr von Marine Le Pen werden. Alle Voraussetzungen sind gegeben, damit sie in den nächsten drei Jahren weiter voranschreiten und ihren Traum verwirklichen kann: die Präsidentschaft der Republik", so Hsakou. Die Ergebnisse bedeuten, dass der RN die größte Einzelpartei Frankreichs ist, da die beiden rivalisierenden Blöcke Koalitionen sind, die aus mehreren Parteien bestehen. Außerdem wird der RN nach den Europawahlen im Juni die größte Delegation des Landes in das Europäische Parlament entsenden.

"Der RN wird seine Arbeit in der Nationalversammlung verstärken, indem er sich erstens hinter Marine Le Pen stellt; und zweitens, indem man sich weiterhin für die nationale Einheit, die Zusammenführung aller Franzosen und natürlich für den notwendigen demokratischen Wandel einsetzt; und schließlich im Europäischen Parlament, (wo) unsere Abgeordneten ab morgen in einer großen Gruppe ihre Rolle spielen werden", sagte Bardella.

"Heute Abend beginnt alles. Eine alte Welt ist untergegangen, und nichts kann ein Volk aufhalten, das wieder zu hoffen begonnen hat", sagte er.

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